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Simon Frank als philosophischer Vermittler zwischen Ost und West
[...] Was die Welt betrifft – oder, genauer gesagt, den Einfluss der Weltereignisse auf
das Schicksal alter Leute, wie ich, – so bin ich sehr pessimistisch. Ich glaube, die Hoelle
auf Erden wird noch jahrelang dauern, und ich persoenlich habe viel Chancen, von
Hunger (vor dem wir hier dicht stehen), Kaelte oder Mangel an den mir notwendigen
Arzneien zu Grunde zu gehen. Ich nehme diese Aussicht stoisch auf – trotz allem, [habe]
ich ein glueckliches sowohl persoenliches, als schoepferisch-geistiges Leben gehabt, und
wenn es damit zu Ende kommt, muss man vom Gefuehle der Dankbarkeit fuer das
Gute geleitet sein. Kommt es anders, so wuerde ich es als eine neue göttliche Gnade
betrachten.
20.X.45
[…] Ich begann wieder endlich eifrig und mit grosser Begeisterung zu arbeiten
– naemlich an einer ziemlich radikalen Umarbeitung meines vor fast 6 Jahren
geschriebenen Buches „Licht in der Finsternis“ […]. Die Hauptgedanken des Buches,
derer Sie sich vielleicht noch erinnern – die innerhalb de[s] empirischen Weltlaufs
unausrottbare Macht des Boesen und der Uebel, Kritik jeglichen U[t]opismus und
Begruendung eines religioes fundierten Realismus, einer heroisch-ueberweltlichen und
eben deshalb nuechtern realistischen Gesinnung – sind meiner Ansicht nach voellig
bestaetigt worden durch die Ereignisse dieser schrecklichen Jahre. Aber ein Buch
geschrieben ueber [ein] solches Thema in 1939-40 klingt 1945, als ob es im 18-ten
Jahrhundert geschrieben war – unendlich viel zu schwach und gemuetlich. Jetzt muss
man fuer dieselben Ideen ganz andere Worte und Argumente finden.
29. November 1945
[…] Gerade aus der Verwurzelung im Ueberweltlichen folgt eine kuehle Sachlichkeit bei
Beurteilung aller menschlich-irdischen Plaene und Moeglichkeiten und eine prinzipielle
Stellung[]nahme gegen die Daemonie des Utopismus in allen ihren Formen.
(Aus den Briefen Simon L. Franks an Ludwig Binswanger)