Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses dieser Untersuchung steht ein wesentlicher Aspekt der sozial-kulturellen deutschen Nationsbildung im 19. Jahrhundert: die Institutionalisierung und Instrumentalisierung des Turnunterrichts in den Volksschulen des Kurfürstentums Hessen und des preußischen Regierungsbezirks Kassel. Der durch die historischen Konstellationen beeinflußte Wandel der in dem Terminus Turnen repräsentierten Wertvorstellungen war der ausschlaggebende Grund, daß die staatlichen Bemühungen zur flächendeckenden Einführung des Turnunterrichts in den Volksschulen erfolgreich verlaufen konnten und daß sich Turnen als fester Bestandteil volksschulischer Bildung etablierten konnte; denn Turnen war ein Mentalitäts- bzw. "Deutungsmuster", das sich im Kontext der historischen Ereignisse veränderte und persönliche Verhaltensweisen determinierte.
Für das Untersuchungsgebiet sind im 19. Jahrhundert die Jahre 1866 und 1871 die entscheidenden historischen Wendepunkte gewesen. Das Jahr der preußischen Annexion Kurhessens (1866) leitete eine Entwicklung ein, die durch den formalen Akt der Reichsgründung (1871) einen Kulminationspunkt erreichte. Wenn auch Kurhessen seit 1866 mehr und mehr "preußisch" wurde, wirkten die Besonderheiten der kurhessischen Entwicklung noch lange fort. Daher ist es erforderlich, die preußische und kurhessische Verwendungsgeschichte des "Deutungsmusters" Turnen, seine Kontinuität und seinen Wandel, im Kontext der Institutionalisierung und Instrumentalisierung des Turnunterrichts in den Volksschulen zu erörtern. In diesem Zusammenhang sind nicht nur die Fragen nach dem staatlich erwünschten Turnsystem, der staatlichen Reglementierung der Turnlehrerausbildung und der den Turnlehrern zugedachten staatlich-erzieherischen Funktion von Interesse, vor allem gilt es, die Einflußfaktoren auf die Wirklichkeit des Schulturnens, institutionelle und strukturelle Rahmenbedingungen und Zwänge, symbolische und tradierte Formen des Körperverständnisses und der Bewegung sowie divergierende Interessen der in die Volksschulbildung und -erziehung involvierten Interessengruppen zu analysieren.
Hartmut Schmidt
Der Herausgeber: Dr. Hartmut Schmidt, Jahrgang 1969, studierte Geschichte und Sport an der Philipps-Universität in Marburg. Nach seinem Ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien (1995) arbeitete er für das Jugendamt des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Im Jahr 2000 erfolgte die Promotion in Marburg. Seit der Absolvierung seines Zweiten Staatsexamens im Jahr 2002 arbeitet er als Lehrer für die Fächer Geschichte und Sport an der Internatsschule Institut Lucius (Gymnasium) im hessischen Echzell. Seine Interessens- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Sportgeschichte des 19. Jahrhunderts sowie in der Aufarbeitung der NS-Zeit.
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Delivery time 2-3 working days.
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Number of Pages |
614
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Publication date |
01.12.2000
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Type |
Hardcover
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Language |
German
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Format |
21,0 cm x 15,0 cm
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ISBN
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978-3-89821-080-5
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Weight
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807 g
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